Seite wählen

Ein neues Schuljahr steht bevor. Unzählige Kinder freuen sich auf den Kindergarteneintritt. Für die Kindergarten-Lehrpersonen ist der Start der vielen Neulinge immer eine Herausforderung. Nicht selten werden Kinder angekündigt, die ihr Geschäft noch in die Windeln verrichten. In diesen Fällen stellen sich sofort viele Fragen. Gehört das Wechseln der Windeln in den Aufgabenbereich der Kindergarten-Lehrperson? Wer soll dem Kind die Windeln wechseln? Wo soll das Wickeln erfolgen? Darf einem Kind, das noch Windeln trägt, gar der Kindergartenbesuch verweigert werden?

 

 


In der deutschsprachigen Schweiz weisen die Kindergartenklassen häufig bis 24 Kinder auf. Die Unterrichtsorganisation ist so angelegt, dass eine Kindergartenabteilung von nur einer Kindergarten-Lehrperson geführt wird. Verschiedene weitere Lehrpersonen, wie Heilpädagoginnen, Therapeutinnen oder Lehrpersonen für Deutsch als Zweitsprache arbeiten jeweils temporär mit wenigen Lektionen mit. Beim Schulstart erhalten die Kindergarten-Lehrpersonen des öftern – aber bei weitem nicht immer – Schulassistenzen zugesprochen, die bei der Eingewöhnung der kleinen Neulinge behilflich sind. Die Einführung der neuen Kinder ins Kindergartenleben ist immer eine anspruchsvolle und intensive Zeit. Wenn unter der neuen Kinderschar noch ein Kind ist, das noch Windeln trägt, kompliziert das den Schulstart unvermittelt. Zu Recht fragen sich die Kindergarten-Lehrpersonen, wie sie damit umgehen sollen und wie das zu stemmen ist.

Rechtliches

Gemäss Art. 19 Bundesverfassung hat jedes Kind Anspruch auf ausreichenden unentgeltlichen Unterricht. Da in den meisten Kantonen der Kindergarten Teil der obligatorischen Schule ist, darf und muss jedes schulpflichtige Kind den Kindergarten besuchen. Die Schulpflicht kann um ein Jahr hinausgeschoben werden, wenn der Entwicklungsstand eines Kindes dies erfordert. Weisen Kinder besondere Bedürfnisse auf, erhalten sie ausreichende Unterstützung (Art. 19 Bundesverfassung). Das bundesrechtliche Behindertengleichstellungsgesetz verlangt zudem, dass Kinder mit Behinderungen in der Schule nicht diskriminiert werden dürfen. Dieses Bundesgesetz ist den auch die Grundlage für das integrative sonderpädagogische System. Ein behindertes Kind soll mit geeigneter Unterstützung nach Möglichkeit in der Regelklasse geschult werden.

Was bedeutet das nun für ein Kind, das beim Kindergarteneintritt (noch) inkontinent ist?

Der Umstand allein, dass ein Kind beim Kindergarteneintritt seine Körperfunktionen noch nicht kontrollieren kann, ist keine Behinderung. Es ist aber zu klären, ob die Inkontinenz aus medizinischen Gründen dauerhaft bestehen bleibt oder ob sie entwicklungsmässig verschwinden wird. Inkontinenz bei Kindergartenkindern kann auch infolge temporärer Ereignisse auftreten.

Ein Schulausschluss allein wegen Inkontinenz wäre eine unverhältnismässige Massnahme. Denn das Kind kann mit Windeln den Unterricht besuchen, ohne dass der Unterricht dadurch gestört würde. Stört das Kind aber den Unterricht auch mit kleinkindlichem Verhalten, müsste geklärt werden, ob das Kind allenfalls wegen eines verzögerten Entwicklungsstandes zurückgestellt werden soll. Die Rückstellung müsste allerdings zügig erfolgen. Denn ein entwicklungsverzögertes Kind soll nicht unnötig lange in einem Umfeld verbleiben, in welchem es überfordert ist. Ein Antrag auf Rückstellung kann durch die Kindergarten-Lehrperson oder durch die Eltern erfolgen. Im Kanton Zürich ist für den Rückstellungsbeschluss die Schulbehörde zuständig.

Wenn ein Kind nicht entwicklungsverzögert ist, aber beim Kindergarteneintritt immer noch Windeln benötigt, steht ein Ausschluss ausser Diskussion. In diesem Fall ist zu klären, wie ein allfälliges Wechseln der Windeln jeweils erfolgen soll. Es drängen sich insbesondere folgende Überlegungen auf:

     

      • Windeln wechseln, wenn es nötig ist.

    Nicht jedes Kind, das mit Windeln in den Kindergarten kommt, muss im Laufe des Vormittags die Windeln wechseln lassen. Für Kinder ist es aber ausgrenzend, wenn es wegen gefüllter und nasser Windeln von den anderen Kindern gemieden oder an der Teilnahme am Unterricht behindert wird. Das Wechseln der Windeln ist darum nötig und darf nicht verweigert werden. Es muss rechtzeitig erfolgen.

       

        • Intimsphäre des Kindes wahren

      Auch kleine Kinder haben Anspruch auf Wahrung der Intimsphäre. Darum muss das Wechseln der Windel ausserhalb der Klasse und diskret erfolgen.

         

          • Kindergarten-Lehrperson muss bei der Klasse bleiben

        Die Kindergarten-Lehrperson trägt die Verantwortung für die Klasse. Gerade am Anfang des Schuljahres, wo die neu eingetretenen Kinder noch nicht an den Kindergartenbetrieb gewöhnt sind, ist es undenkbar, dass die Kindergarten-Lehrperson die Klasse für das Wechseln der Windeln verlassen könnte. Das Wechseln der Windeln muss darum einer anderen Person übertragen werden.  

           

            • Wer kommt für das Wechseln der Windeln in Frage?

          Diejenige Person, die dem Kind die Windeln wechselt, muss dem Kind vertraut sein. Ständig wechselnde oder fremde Personen sind für das Kind unzumutbar. Optimal wäre der Beizug eines Elternteils oder einer Person aus dem familiären Umfeld. Dies ist aber nur möglich, wenn die Eltern einverstanden sind und die betr. Person zeitlich flexibel auf Abruf bereitstehen kann. Wenn niemand aus dem familiären Umfeld beigezogen werden kann, muss die Schule eine vertrauenswürdige Person bestimmen, die jeweils dem Kind die Windeln wechselt. Das könnte beispielsweise eine Schulassistenz oder jemand aus dem Hort sein.

             

              • Schutz der Person, die dem Kind die Windeln wechselt

            Anspruch auf Schutz haben sowohl das Kind als auch die Person, die die Windeln wechseln muss. So werden in Kinderkrippen Kinder nie in verschlossenen Räumen gewickelt. Diejenige Person, die dem Kind die Windeln wechselt, hat Anspruch auf Schutz vor Vorwürfen von Übergriffen. Die Schule muss hierfür geeignete Massnahmen treffen.

               

                • Zusammenarbeit Schule und Eltern

              Wenn keine medizinischen Gründe für die Inkontinenz vorliegen, ist eine gute Zusammenarbeit zwischen den Eltern und der Schule wichtig. Die Eltern sollen mit dem Kind zu Hause gezielt ein «Sauberkeitstraining» beginnen – z.B. mit windelfreien Phasen und regelmässigen WC-Gängen. Je früher das Kindergartenkind von den Windeln wegkommt, desto geringer ist die Gefahr der Ausgrenzung. Bis das Kind seine Körperfunktionen vollständig unter Kontrolle hat, ist es vielleicht nötig, dass es im Kindergarten noch eine Weile diskret auf WC-Gänge aufmerksam gemacht wird oder zu WC-Gängen begleitet wird.