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Michelle (@michellemelodyx) erklärt die Schülerrechte:

https://www.tiktok.com/@michellemelodyx/video/6745443858034806021?langCountry=de&enter_from=h5_m

Ob wir es für gut halten oder nicht: Schülerinnen und Schüler stehen unter vielen Einflüssen und insbesondere unter dem Einfluss von Social-Media. Dabei tauchten in jüngster Vergangenheit auch im Bereich Schule immer wieder Posts auf von jungen Instagrammern, die in wenigen Sätzen „Fakten präsentieren“, die von den jungen KonsumentInnen ungefiltert übernommen und unkritisch als Tatsachen anerkannt werden. Michelle Melody, eine junge Influencerin, stellt zurzeit „Schülerrechte in Deutschland“ in kurzen und prägnanten Sätzen ihrem jungen Publikum vor. Da Michelle Melody als Idol gilt, werden die Aussagen eins zu eins übernommen und in den Peergroups diskutiert. Dass Michelle dabei ausdrücklich von „Schülerrechte in Deutschland“ spricht, wird von den Followern genauso wenig wahrgenommen, wie der Umstand, dass die Beurteilung einer rechtlichen Situation vom jeweiligen Einzelfall abhängig ist. Die „Fakten“ werden ins Schulzimmer getragen und Lehrpersonen werden damit konfrontiert, dass sie sich „rechtswidrig“ verhalten. Dies verunsichert nicht nur die Lehrpersonen, sondern auch die Eltern. 

Was ist dran an den 5 Schülerrechten, die Michelle präsentiert und inwiefern haben diese Aussagen Gültigkeit für die Schweiz?

(Da in der Schweiz das Schulrecht nicht schweizerisch, sondern kantonal geregelt ist, gilt es, das jeweilige kantonale Schulrecht zu beachten. Die Regelungen können von Kanton zu Kanton variieren.)

Beispiel Kanton Zürich:

1. „Der Lehrer darf euch keine Hausaufgaben als Strafe auferlegen“

Gemäss § 56 Volksschulverordnung des Kantons Zürich kann eine Lehrperson Schülerinnen und Schüler 

  1. Für kurze Zeit aus dem Schulzimmer weisen,
  2. Mit einer sinnvollen, möglichst im Zusammenhang mit der Verfehlung stehenden Zusatzarbeit betrauen.
  3. Nach Mitteilung an die Eltern und bei Anwesenheit einer Lehrperson während der unterrichtsfreien Zeit zur Anwesenheit in der Schule verpflichten.

Beispiel Kanton St. Gallen:

Gemäss Art. 12 Volksschulverordnung des Kantons St. Gallen kann die Lehrperson Disziplinarmassnahmen verfügen:

  1. Zusätzliche Hausaufgaben oder Arbeiten in der Schule ausserhalb der Unterrichtszeit;
  2. Wegweisung aus der Lektion oder aus der besonderen Veranstaltung;
  3. Ausschluss von einer besonderen Veranstaltung, die nicht länger als einen Tag dauert;
  4. Schriftliche Beanstandung an die Eltern

Daraus ist abzuleiten, dass es in der Schweiz – je nach Volksschulrecht des jeweiligen Kantons – absolut zulässig ist, Zusatzarbeiten als Strafen aufzuerlegen.

2. „Der Lehrer darf Briefchen, die ihr im Unterricht austauscht, zwar wegnehmen. Er darf diese aber nicht lesen oder diese gar der Klasse vorlesen.“

Grundsätzlich wird hier das verfassungsmässige Recht auf Privatsphäre angesprochen, was als Teil des Persönlichkeitsrechts zu betrachten ist. Soweit der Unterricht durch solche Briefchen beeinträchtigt wird, hat die Lehrperson das Recht, die Störung zu beseitigen und die Nachricht einzuziehen. Richtigerweise wäre es aber eine Verletzung der Privatsphäre und der psychischen Integrität, wenn die Lehrperson die Nachricht, quasi als Strafe, den anderen Schülerinnen und Schülern vorlesen oder diese für sich selber lesen würde.

3. „Ein Lehrer darf euch nicht einfach so von der Klassenfahrt ausschliessen.“

Es gelten die gleichen Disziplinierungsmöglichkeiten wie in Fall 1, woraus ersichtlich wird, dass die Lehrperson (nach Zürcher Recht) tatsächlich nicht die Berechtigung hat, Schülerinnen und  Schüler aus disziplinarischen Gründen die Teilnahme an einer Schulreise zu verbieten. Da die Lehrperson aber die Aufsicht und Verantwortung über die Schulklasse übernimmt, kann sie Schülern aber beispielsweise aus Sicherheitsgründen die Teilnahme verweigern. Schulleitung oder Schulpflege (die hierarchisch höher gestellt sind) dürfen Schülerinnen auch aus disziplinarischen Gründen die Teilnahme verbieten (§ 52 Volksschulgesetz ZH).

Nach St. Galler Recht hat die Lehrperson ausdrücklich die Hoheit, Schüler und Schülerinnen aus disziplinarischen Gründen von einer besonderen Veranstaltung (Schulreise) auszuschliessen.

4. „Wenn der Lehrer euch beleidigt, macht er sich strafbar und man darf Strafanzeige erstatten.“ 

Nach Art. 177 Strafgesetzbuch macht sich strafbar, wer jemanden durch Wort, Schrift, Bild oder Gebärden in seiner Ehre angreift. Dies gilt selbstverständlich auch für eine Lehrperson gegenüber Schülern und auch umgekehrt. Die Straftatbestände der Beschimpfung, Ehrverletzung, etc. sind dabei Antragsdelikte. Die Anzeige müsste deshalb innert 3 Monaten nach der Straftat eingereicht werden, sonst verfällt das Antragsrecht. 

Aber auch ohne Strafanzeige könnte das Verhalten der Lehrperson Folgen haben. Beschweren sich die Eltern oder die Schüler bei der Schulleitung oder der Schulbehörde, müssten diese den Sachverhalt prüfen und könnten gegen die betr. Lehrperson allenfalls arbeitsrechtliche Massnahmen, wie z.B. Verwarnung oder Verweis, ergreifen.  

5. „Der Lehrer darf euch nicht zwingen, an der Wandtafel 100 Mal den gleichen Satz abzuschreiben.“ 

Es gelten auch hier die gleichen Disziplinierungsmöglichkeiten wie in Fall 1. Dabei zeigt sich, dass „Nacharbeiten“ oder „zusätzliche Hausaufgaben“ grundsätzlich eine zulässige Disziplinierung wäre. Es dürfte aber fraglich sein, ob 100 Mal den gleichen Satz zu schreiben, eine „sinnvolle Zusatzarbeit“ ist. 

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die plakativen Behauptungen von Michelle Melody zwar nicht vollkommen abwegig sind und teilweise auch Gültigkeit für das Schweizerische Schulrecht haben. Die Absolutheit der Aussagen ist aber insbesondere deshalb problematisch, da jeder Einzelfall wieder anders zu beurteilen ist.

Lehrpersonen haben die Oberaufsicht über die Schulklassen und tragen auch die Verantwortung. Sie müssen sich aber bewusst sein, dass Schule kein rechtsfreier Raum ist und klare Regeln festgeschrieben sind.